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Mi 19.06.2019

19:00

• Auditorium des DAM
Schaumainkai 43
60596 Frankfurt am Mai

Vortrag

Was ist modern? Josef Frank und das Neue Bauen

Andreas Nierhaus

Spätestens seit seiner Teilnahme an der Stuttgarter Weißenhofsiedlung 1927 war der Wiener Architekt Josef Frank (1885-1967) auch einer größeren Öffentlichkeit als Kritiker der strikt funktionalistischen Richtung des „Neuen Bauens“ bekannt. Franks Position war umso provozierender, als sie sich nur schwerlich als konservativ oder gar reaktionär diskreditieren ließ: sein Stuttgarter Doppelwohnhaus etwa entsprach mit glatten Fassaden und flachen Dächern unverkennbar den Kriterien einer „Neuen Sachlichkeit“, im Inneren jedoch herrschten Tischlermöbel, bequem gepolsterte Fauteuils, mit Kissen belegte Diwane und groß gemusterte, buntfarbige Textilien nach eigenen Entwürfen des Architekten vor.

Alles wirkte wie zufällig zusammengestellt, allmählich gewachsen, keinem „Stil“ verpflichtet. Frank zeigte hier, was er in zahlreichen zeitgenössischen Texten ausführlich begründete: Es sei eine Konsequenz historisch- kultureller Entwicklung innerhalb der europäischen „Tradition“ – und nicht etwa das Resultat eines neuen ästhetischen „Programms“ – dass das Haus keine Ornamente mehr trage und das Flachdach das Steildach abgelöst habe. Die Wohnung wiederum solle den Bedürfnissen ihrer Bewohner entsprechen, der Erholung und der Muße dienen; daher sei jede Erinnerung an die zunehmend mechanisierte Arbeitswelt zu vermeiden, das Stahlrohrmöbel sei Ausdruck einer pathetischen Maschinenverehrung und eine bloße Modeerscheinung. Franks dezidiert antimetaphysische Haltung hat ihre intellektuelle Basis im Logischen Empirismus des „Wiener Kreises“ rund um Rudolf Carnap, Hans Hahn, Otto Neurath und Moritz Schlick, der eine „wissenschaftliche Weltauffassung“ vertrat und die Philosophie – nach dem Vorbild der Naturwissenschaften – auf Fragen der Erkenntnistheorie, Logik und Sprachkritik begrenzen wollte.

Ausgehend von Franks Vortrag „Was ist modern?“, der auf der Jahrestagung des Deutschen Werkbunds in Wien 1930 eine monatelange Debatte auslöste, wird seine abweichende Position innerhalb des Neuen Bauens beleuchtet und zugleich seine spätere Beurteilung – und Verharmlosung – als „moderat Moderner“ kritisch hinterfragt: Zeigte er doch in seiner künstlerischen und theoretischen Arbeit die Möglichkeiten einer historisch bewussten, empirischen und nicht von abstrakten Idealen und Systemen geleiteten Moderne auf – einer „anderen“, aber womöglich auch konsequenteren Moderne?

 

Kurzbiographie Andreas Nierhaus

Studium der Kunstgeschichte und Geschichte in Wien, 2004/2005 Assistent am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, 2005-2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, seit 2008 Kurator der Architektursammlung des Wien Museums, im Sommersemester 2019 Vertretungsprofessur für Kunstgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Forschungsschwerpunkte: Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, Medien der Architektur, Interieur und Wohnen.